Patagonien – unsere lange Reise durch Argentinien

Wenn mir jemand gesagt hätte, dass es windig ist in Patagonien, ich hätte es ihm geglaubt. Und wenn jemand gesagt hätte, dass es trostlos ist in Patagonien, dass es von den Nationalstraßen wie der Ruta 3 über hunderte Kilometer rechts und links keinen Weg ab gibt, auch das hätte ich geglaubt. Es reicht nicht mal, selbst in Patagonien gewesen zu sein, um zu erkennen, wie windig und wie trostlos es ist. Man muss Patagonien selbst durchfahren haben.

Als Michaela im Vorfeld der Reise sagte, dass es da (in Patagonien) nichts zu sehen gäbe, ich habe es ihr nicht geglaubt. Da muss doch irgendwas sein. Ja, die Peninsula Valdes gibt es, zwei versteinerte Wälder und den ein oder anderen Ort gibt es auch, Gaiman zum Beispiel. Aber so, wie wir es aus Europa gewohnt sind, sind die Städte halt nicht. Allen Städte fehlt der historische Ortskern, die Kathedrale, der angrenzende Marktplatz, um den sich schon seit Jahrhunderten alles geschart hat. In Argentinien, wie letztlich wohl überall auf dem amerikanischen Kontinent, gibt es das nicht, bleiben also de facto nur Flora und Fauna zur Anschauung.

"Altar" für Gaucho Gil am Straßenrand
„Altar“ für Gaucho Gil am Straßenrand

Fauna in Patagonien

Von der Fauna gibt es hier jede Menge. Ganze Bücher füllen die verschiedenen Vögel, die es zu betrachten gibt (wenn der Wind nicht zu stark weht), es gibt die Wale und Delfine, die Nandus, die Guanacos, die Gürteltiere, Pumas (mit viel Glück), Füchse, Stinktiere, Schlangen, Flamingos. Die Seelöwen, Seeelefanten und Seehunde. Alles Tiere, die man in unseren Breitengraden nur im Tierpark bestaunen (bemitleiden) darf. Und dass nicht nur auf Valdes oder in anderen Nationalparks. Wir haben auf unserer Fahrt entlang der Ruta 3 über rund 3.000 Kilometer so viele Tiere gesehen, dass es nur scheppert. Einen Puma leider nicht, aber auf der Strecke bisweilen alle 500 Meter eine Guanaco-Herde mitten auf der Fahrbahn. Auch deswegen dauert die Fahrt so lange: immer wieder bremsen, immer wieder anfahren. Nandus, Laufvögel, die gut getarnt am Straßenrand (oder drauf) stehen und ihrem Namen keinerlei Ehre machen: Sie stehen einfach. Die unzähligen (mehrere hundert) Seelöwen, gut versteckt und von der Straße aus nicht einzusehen, aber doch direkt daneben – wir haben sie nur durch Zufall gesehen, weil wir eigentlich nur das Meer fotografieren wollten. Und Vögel bis der Arzt kommt. Soweit die Fauna in Patagonien und natürlich auch nur der Teil, den wir im Vorbeifahren gesehen haben.

Guanacos
Guanacos

Flora in Patagonien

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Eigentlich wäre der Absatz hier zu Ende. Denn die Trostlosigkeit hängt stark mit dem Bewuchs der Landschaft zusammen. Es wird mit jedem Kilometer weniger. Nicht, dass es oben, zu Beginn der Ruta 3, viel sei. Trotzdem kommt danach nur noch noch weniger.
Aus wenigen Bäumen werden Sträucher. Aus Sträuchern werden weniger Sträucher. Und noch weniger. Und dann sind es irgendwann nur noch Grasbüschel. In der Rinne rechts und links neben der Fahrbahn sind sie noch grün und hübsch anzusehen; so hübsch wie ein Grasbüschel nun mal anzusehen ist. Aber weiter draußen, also jeweils ab 50 Zentimetern neben Asphalt oder Beton, da werden die Büschel grau und dunkelbraun und manchmal gelb. Aber meistens so trost- und farblos wie die Landschaft. Wie Karin schon sagte: Und irgendwann freust Du Dich, weil Du wieder einen Baum siehst.

Land und Leute

Die patagonische Landschaft ist platt. Sehr platt. Offensichtlich alles, was östlich der Anden liegt, ist in Argentinien platt. Über Kilometer, soweit das Auge reicht, gibt es keinen einzigen Hügel, von Bergen mal ganz zu schweigen. Große Teile der Landschaft zieht sich fast auf Meereshöhe oder auf rund 300 Metern dahin. Aber nicht abwechselnd, sondern über hunderte Kilometer gleichbleibend. Allein hinter Rada Tilly, einem kleinen „Ferienort“ für die reichen Ölarbeiter und –manager, die bei der Suche nach Wasser versehentlich auf Öl gestoßen sind. Rada Tilly liegt in einer kleinen grünen Talebene, hat ein paar wunderschöne Buchten, Strände, grüne Flächen. Aber sonst? Plattes Land soweit das Auge reicht. Kein Baum (siehe oben), kein Strauch (siehe oben) und nur ganz wenige Ortschaften. Was das Navigationssystem als „Großstadt“ deklariert, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als kleiner Ort, Ortschaften bestehen manchmal nur aus einem einzigen Haus, das an der Kreuzung zweier Nationalstraßen liegt. Auf Straßenschildern dann mit der Entfernung „0“ angegeben, damit man es auch ja nicht verpasst.

Mit wenigen Ausnahmen sind die Menschen in Patagonien (wie im übrigen Argentinien, so unsere Erfahrungen) ausgesprochen nett und freundlich. Fremde kommen nicht so oft hierhin, schon gar nicht außerhalb der Saison und ohne Reiseführer. Klar, unser Auto bringt uns schnell ins Gespräch, Land Rover sieht man hier fast nie. Und selbst ich mit meinen rudimentären Spanischkenntnissen („Siiiiiii!“) kann mich gut durchwurschteln, weil jeder, den wir treffen, behilflich sein möchte.

Wenn wir denn jemanden treffen. Auf dem Land, raus aus den Ortschaften, sieht man keine Menschenseele. Klar, was wollen sie auch hier, draußen in der Flora und Peripherie. Auf unserer ganzen Fahrt haben wir einen einzigen Fußgänger gesehen. Und ein paar hundert Kilometer weiter einen einzigen Gaucho. Beide fernab jeglicher Zivilisation. Was auch immer die beiden da wollten. Vielleicht verstecken spielen.

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Wind in Patagonien

Man kann es nicht beschreiben. Jeder, der schon mal hier war, mit dem wir gesprochen haben, hat uns vom heftigen Wind erzählt. Vom dauerhaften Wind. Vom immer währenden Wind. Aber erstens glaubt man es nicht und zweitens muss man das erlebt haben.
Es ist kein laues Lüftchen, das da weht. Es ist ein permanenter Wind von 40, 50 oder 60 km/h der weht und weht und weht. Allein deswegen haben es die Bäume hier eher schwer. Und wenn sie doch mal wachsen, dann immer nur in eine Richtung. Jeder Baum und jeder Strauch hat eine kahle Seite. Da weiß man, woher der Wind weht.
Autofahren ist unglaublich anstrengend. Permanentes Gegenlenken, immer die Hand am Steuer, wachsam und wartend auf die nächste Böe. Und wenn keine Böe kommt, dann eben eine Guanaco-Herde im Querverkehr.

Der Benzinverbrauch explodiert von 10 Litern (bei dauerhaft 80 km/h) auf sagenhafte 17,6 Liter pro hundert Kilometer. Gut, dass der Sprit hier im Süden Argentiniens subventioniert wird. Umgerechnet 95 Cent kostet ein Liter EuroDiesel aktuell.
Es zieht sich hin und ist auf Dauer sehr anstrengend. Und wenn Du denkst, es kann nicht schlimmer kommen, dann steht da ein Schild das vor starkem Wind warnt. Denkste, das geht nicht? Geht doch! Das Schild lügt nicht, der Wind wird noch stärker.

Und egal, ob Du gerade keine Lust mehr zum Weiterfahren hast oder eine Pause machen willst: es geht nicht. Nirgendwo ein Unterstand, eine Tankstelle oder ein Parkplatz. Geschweige denn ein kleines Örtchen mit einem netten Cafe. Einfach nur Nichts. Und alle 150 Kilometer eine Tankstelle, die nicht nur zum Tanken, sondern auch zum Duschen oder Essen einlädt. Aber eben nur alle 150 Kilometer.

Jeden Abend die Suche nach einem halbwegs geschützten Platz. Der Wind wackelt so unglaublich am Auto, am Dachzelt, das kommt schon nah an unsere Flucht vor dem Zyklon in Uruguay heran. Nur weht der Wind hier immer so, Tag und Nacht und Nacht und Tag. Jeder Strauch, jeder Baum, jede Hauswand ist willkommen. Und selbst dann wackelt es im Dachzelt immer noch mehr, als auf dem Schiff, sagt Hase. „Approved by patagonien winds“, schreibe ich Dietmar, der das Hubdach gebaut hat. Wenn es diese Winde aushält, dann kann es nichts mehr erschüttern. Bisher hält es.

Die Straßen von Patagonien

Sie ziehen sich so endlos hin. Man muss schon gut mit sich selbst zurecht kommen. Denn selbst wenn Du zu zweit unterwegs bist, in dieser Einöde geht Dir irgendwann der Gesprächsstoff aus. „Hase, schau mal“ (gespielte Begeisterung), „was ist das für ein seltsames Tier, wow!“ (gesteigerte gespielte Begeisterung).
„Wo? Wo?“ „Da vorn, schau, ach ne, war nur ‚nen Strauch!“ Und dann kommt langes Schweigen. Und endlose Straßen. Und man ist mit seinen Gedanken allein. Hunderte Kilometer geht es einfach nur gerade aus. Einfach nur gerade aus.

Warum kleinste Kurven hier mit Warnschildern und Überholverboten angekündigt werden, versteht man irgendwann: die Konzentration lässt nach. Und wenn die Straßen mal nicht frisch geflickt sind, dann kann es schon mal mannshohe Schlaglöcher geben. Eigentlich keine Schlaglöcher mehr, manchmal fehlt einfach ein Stück Straße. Und wenn das so kommt oder eine „Curva Peligrosa“, dann mag es schon mal scheppern. Die Kreuze an den Straßenrändern lassen sich so vielleicht ganz gut erklären.

Es zieht sich hin und es wird nicht abwechslungsreicher. Kaum auszudenken, wie das in Zeiten ohne Auto und geteerter Straßen war. Man reitet stunden- oder tagelang einem einzelnen Hügel entgegen, des guten Überblicks wegen, und wenn man endlich oben angekommen ist auf dem scheiß Hügel, dann sieht man von oben nichts. NICHTS außer der gleichen Landschaft, durch die man schon seit Tagen oder Stunden geritten ist. Mit dem Autofahren und dem scheiß Hügel ist das übrigens nicht viel anders.

Bevor wir los sind, gab uns Hartmut, selbst erfahrener Patagonien-Erfahrer, den wichtigsten Tipp: „Lasst keine Tankstelle aus!“. Jaja, alter Hase und so, das hätte auch schief gehen können. Der Dieselverbrauch explodiert und dann kommt keine Tankstelle. Weit und breit nicht. Wir haben natürlich immer vollgetankt, an jeder YPF oder Petrobras, die auf dem Weg liegt. Aber selbst dann: Ohne unseren Zusatztank wären wir auf einer Etappe fast nicht durch gekommen, weil wir eine eine Tankstelle ausgelassen haben. Der hohe Verbrauch und die weite Entfernung zwischen den Tankstellen bringen den Standard-Defender an seine Reichweitengrenze. Nicht auszudenken, wenn man hier eine Panne hat.

Den Luxus betonierter oder geteerter Straßen gibt es freilich nur auf den Nationalstaßen oder Autovias. Nationalstraßen führen mal in Nord-Süd-Richtung oder von Westen nach Osten quer durch das ganze Land und sind mit wenigen Ausnahmen ihn „gutem“ Zustand, vielleicht vergleichbar mit belgischen Landstraßen. Autovias sind vierspurige „Autobahnen“, getrennt durch einen breiten Grünstreifen. Die argentinische Regierung hat angekündigt, in den nächsten Jahren 6.500 weitere Kilometer Nationalstraßen und 1.000 Kilometer Autovias zu bauen. Wenn man bedenkt, wie lang das Land ist, ist das nicht wirklich viel.
Nebenstraßen hingegen, also alles fernab der RNs und Autovias sind meistens nicht geteert, auch nicht innerhalb von Ortschaften. Das sind dann oft Waschbrettpisten, mit kleinen Querrillen, die von Fahrer, Beifahrer und Auto so ziemlich alles verlangen, was sie zu bieten haben. Da überlegt man sich zweimal, ob man die 50 Kilometer zum nächsten Nationalpark tatsächlich noch mitnehmen will. Nicht geteert, och nö, dann lass mal.
Natürlich kommt es dann zu einer kruden Mischung aus Sand und Wind. Nichts, was hier auf der Straße liegt, bleibt bei diesen Winden liegen, gerade kein Sand, der in alle Ritzen des Autos kriecht, fein und widerspenstig sucht er sich seinen Weg ins warme Defender-Innere, wo wir ihn dann bei jeder Gelegenheit wieder zu entfernen versuchen. Ohne Staubsauger? Fast unmöglich. Wie sehr wünsche ich mir manchmal den Teppichklopfer meine Omi zurück.

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Straßen in Patagonien

Faszination Patagonien

Und warum das Ganze? Patagonien gehört zu den Dingen, die man gemacht haben muss. Kein Bild, keine Erzählung, kein Film kann Weite, Wind und Wirklichkeit Patagoniens so herüber bringen, wie sie tatsächlich sind. Das liegt allein schon am Wind, der sich auf Fotos so schlecht zeigen lässt. Patagonien ist in seiner Einfachheit so unendlich faszinierend, dass man es selbst erfahren muss. Und nach weit mehr als 3.000 Kilometern in eine Richtung ist man um eine enorme Erfahrung reicher. Versprochen – auch wenn Patagonien nicht zur Panamericana gehört!

  1. Toller Bericht
    Alles was du geschrieben hast Trift zu. Ich kann auch nur jeden dieses Land mal bereist zu haben. Erst recht den Wind muss man erlebt haben.
    Weiter gute Fahrt

  2. Toller Bericht genau so ist es dort. Bin gerade gestern aus dem Süden von Chile umd den Falklandinseln zurück gekommen (leider ohne Landy) dort gewesen! Wind ohne Ende!! Euch noch viel Spaß und Gute Reise

  3. Hallo ihr beiden,

    die Wettervorhersage für Ushuaia ist ja grottenschlecht bis zum 29 November. Sucht euch mal ein trockenes Plätzchen.
    Ist ja witzig, dass ihr Alex & Malte mit deren Defender schon getroffen habt. Ist an mir vorbei gegangen, dass sie auch dort unterwegs sind.

    Gute Zeit weiterhin und immer schön berichten (falls möglich),
    Bernd (aus dem regnerischen Neuss)

    1. Hi Bernd, ja, Wetter-technisch ist es nicht so doll, aber wir sind ja heute hier auch wieder weg und bewegen uns langsam in Richtung Wärme.
      Maltes Defender war bei uns auf dem Schiff, wir haben uns dann in Uruguay getroffen. Inzwischen liegen aber bestimmt 3.000 Kilometer zwischen uns. Ich hoffe, wir treffen uns irgendwo nochmal.
      Viele Grüße!

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