Im Großen und Ganzen erinnert Puerto Natales mehr an eine amerikanische Kleinstadt, als an ein abgelegenes Örtchen im chilenischen Nichts. Eingekeilt zwischen den Gletschern des Nationalpark Torres del Paine auf der einen Seite und Fjord Ultima Esperanza auf der anderen, führen die etwas zu breiten Straßen fast alle leicht bergab in Richtung Wasser. Die Betonplatten werden flankiert von einstöckigen Häusern, vor denen sich in gähnender Langeweile ein paar Straßenköter die Sonne auf den Pelz scheinen lassen. Der Wind pfeift eiskalt durch die Gassen, still und einsam ist der Ort.
Wir wundern uns noch, dass so ein kleiner verschlafener Ort vor den Toren von Chiles größtem Nationalpark nicht mehr auf Tourismus macht. Von unserem windgeschützten Stellplatz gehen wir quer durch den Ort zu einem kleinen Pub namens „Base Camp“, ganz vereinzelt treffen wir ein paar Menschen. Nichts nennenswertes.
Base Camp in Puerto Natales
Die Stille vor dem Pub wird mit dem Öffnen der Tür jäh zerrissen. Lautes Stimmgewirr wie damals in Babel schallt uns entgegen und wir finden die letzten zwei Plätzchen zwischen jungen Leuten aus Schweden, Botschaftersöhnen aus Finnland, zwei Wasserwirtschaftsstudenten aus Dresden und unzähligen anderen Backpackern, Hikern und Abenteurern. Mit einem Schlag fühlen wir uns alt, der Rest des Pubs ist gefüllt mit Anfangzwanzigern. Allein die Bedienung erreicht annähernd unseren Jahrgang und ist sichtlich begeistert, mal ein paar ältere Semester hier zu sehen. Für mich zum Vorteil, mein neues Bier kommt, bevor mein altes leer ist. Der Rest der Kneipe muss durchweg länger warten.
Dass Puerto Natales nicht dieses kleine verschlafene Dörfchen ist, hätte uns auffallen können, als wir am Schild „City Center“ vorbeigelaufen sind. Gedacht haben wir uns nichts dabei, richtige Stadtzentren haben wir in Südamerika bisher nicht gefunden, meist ist es ein Platz mit ein paar Bäumen und einem Denkmal. In Puerto Natales ist es eine wilde Ansammlung von Kneipen, Pubs und Outdoor-Stores. Alle nennenswerten Marken sind hier versammelt, kleine Geschäfte verkaufen und verleihen Wanderausrüstung, Backpacker-Food und alles, was man im Nationalpark gebrauchen könnte. Die ganze Stadt, bis auf die Straßen, die wir am Vorabend durchlaufen sind, ist auf Torres del Paine ausgerichtet – eigentlich noch ein bisschen mehr, als wir es erwartet hätten. Die ganze Stadt wuselt vor junger Leute, alle planen mehrtägige Wanderungen von Zeltplatz zu Zeltplatz, nur ausgerüstet mit ein paar Dosen Thunfisch, Powerbars und zwei Sätzen Kleidung.
Auf in Richtung Torres del Paine
Unser Weg führt uns fast zwei Stunden durch atemberaubende Landschaften immer in Richtung Nationalpark. Die Straßen sind staubig, verschlungen und vor uns liegen die Gletscher des Parks. Was wir sehen, ist nicht in Worte zu fassen und auch die Bilder zeigen nur einen Bruchteil dessen, was wir entlang des Weges entdecken. 3.247 Meter hoch erstreckt sich die Gebirgskette, umgeben von atemberaubenden Seen, schroffen Felswänden und dem kalbenden Gletscher Grey, „the bluest grey“ genannt. Auf solchen Strecken ist es eigentlich unmöglich, das gesteckte Etappenziel zu erreichen. Immer und immer wieder halten wir an und kriegen die Kinnlade vor Staunen nicht mehr zu – dabei sind wir noch nicht mal im Nationalpark, sondern nur auf dem Weg dorthin. Eindrücke, die man so schnell nicht vergisst (hoffentlich), wir sind uns einig, dass wir kaum jemals eine so schöne Landschaft gesehen haben. Und wir sind uns bewusst, wie dankbar wir sein können, das hier alles sehen zu dürfen!
Spät abends erreichen wir einen kleinen, einsamen Campingplatz direkt vor den Toren des Nationalparks. Unser Asado grillen wir schon fast im Dunkeln unter den aufgehenden Sternen, lassen den Tag bei einem Glas Malbec Revue passieren. Und zwischen den Bäumen, die das kleine Flüsschen neben unserem Stellplatz säumen, lugt zwischen jedem Wipfel irgendwo die Spitze eines Gletschers hervor.