Chaitén heißt einer der vielleicht aktivsten Vulkane Chiles. Und Chaitén heißt auch die Stadt, zehn Kilometer von ebendiesem Vulkan entfernt, ein idyllisches kleines Örtchen am Pazifik. Mitten durch Chaitén fließt ein Fluß, der Rio Blanco, teilt die Stadt in zwei Teile, die Ufer sind ein bisschen mit Steinen und größeren Felsbrocken verziert. Der Rio Blanco mündet hier in den Ozean, gesäumt von reichlich Strand. Nein, streiche „Strand“, es ist wohl eher Asche.
2008 war es, als der Chaitén, der Vulkan ausbrach. Ziemlich unvermutet. Die Einwohner des kleinen Örtchens sind zunächst davon ausgegangen, es sei der 35 Kilometer entfernte Michinmahudia, aber es war der Kollege um die Ecke. Mit fatalen Folgen. Nicht nur, dass die Stadt unter einer meterhohen Schicht aus Asche und Steinen verschwunden ist. Im Laufe der Tage suchte sich der Rio Blanco ein neues Bett und floss nicht mehr neben der Stadt vorbei, sondern mitten hindurch. Heute fehlen einfach zwei komplette Straßenzüge, die Stadt ist geteilt durch den Fluss, der soviel Steine, Geröll und Asche mit sich vom Vulkan gebracht und mitgenommen hat, dass die ehemalige Uferpromende Chaiténs heute nicht mehr am Ufer des Pazifiks verläuft, sondern mehrere hundert Meter dahinter.
Acht Jahre ist das jetzt her und inzwischen haben einige der ehemaligen Bewohner die Stadt langsam wieder aufgebaut. Es gibt wieder ein paar Häuser, ein paar wenige Geschäfte, einen Dorfplatz. Aber die Wunden sind sichtbar. Einige der alten Häuser stehen noch heute wie ein Mahnmal halb versunken in der Vulkanasche, die ehemalige Stadt gleicht heute eher einem Dorf und der Fluss, nun ja, der teilt die Stadt wirklich. Wer in den südlichen Stadtteil fahren will, der muss erst aus der Stadt raus, über die Brücke und wieder in die Stadt rein. Früher, vor dem Vulkanausbruch, da konnte man einfach zwei Straßen überqueren und war am gleichen Ort.
Camping Vulcano im Parque Pumalin
Der Vulkan Chaitén liegt mitten im Nationalpark Pumalin, gegründet von Douglas Tompkins, dem ehemaligen Chef von The North Face und Esprit, der sich bis zu seinem tragischen Tod dem Umweltschutz verschrieben hat. Der Parque Pumalin ist sein größtes Projekt und der Chaitén liegt mitten drin. Dass da jemand zugange war, dem Marketing und westliche Werte im Blut liegen, merkt man an jeder Ecke. Die Straßenschilder sind nicht die üblichen, grünen. Sie sind aus Holz mit chicen Buchstaben. Die Wege und Wegesränder sind schön und gepflegt. Dieser Teil der Carretera Austral, der durch den Park führt, ist, obwohl auch nicht asphaltiert, sicherlich einer der besten.
Unser Nachtlager im Camping Vulcano ist fast schon sensationell. Fast zwei Kilometer fernab der nächsten Straße, man fährt wunderschön durch kalten Urwald, öffnet sich ein Schneise, umgeben von Wäldern, Vulkan und schneebedeckten Gipfeln. Die wenigen Campingplätze weit entzerrt, gut gepflegte Unterstände mit Sitzgelegenheit, Trinkwasser an jedem Platz und ein sagenhafter Ausblick. Die Nacht haben wir trotz eisiger Temperaturen im offenen Dachzelt verbracht. Über uns der Sternenhimmel und um uns herum lauter unbekannte Geräusche von wirklich unberührter Natur.
Hoch auf den Chaitén
2,2 Kilometer ist der Aufstieg zum Kraterrand weit, 600 Höhenmeter gilt es dabei zu überwinden. Die Infotafel am Wegesanfang spricht von drei Stunden im normalen Tempo. Aber was ist schon normal? Drei Stunden heißt erstmal: zwei Stunden hoch, eine wieder runter. Gut, das scheint machbar zu sein. Bis zu dem Punkt an dem man sich vergegenwärtigt, wie viel 600 Höhenmeter auf 2,2 Kilometer Strecke sind.
Was anfänglich noch ein hübscher Wanderweg mit Infotafeln ist, entwickelt sich mehr und mehr zu einem Klettersteig, zu einer Treppenwanderung in luftige Höhen. Wir haben Zeit und Weg und Uhrzeit dabei ein bisschen unterschätzt, die Mittagssonne fängt an zu brutzeln, der Wasservorrat neigt sich schon auf dem Hinweg dem Ende entgegen. Und als nach gut zwei Dritteln des Weges nicht nur ein wirklich, wirklich steiler Berg vor uns steht, kahl und leer und ohne Sonnenschutz, da wurde uns dann doch ein bisschen anders. Nicht nur, weil da auf einmal ein Berg, ein Vulkan stand, sondern auch, weil kein Weg mehr da war. Alle Stufen weg, wenig alter Weg erkennbar, ein paar Fußspuren unserer Vorgänger in Asche und Geröll und ziemlich viel Weg vor uns. Ja, eine Pause haben wir gemacht, aber die propagierten zwei Stunden waren es dann doch nicht. Nach fast vier Stunden waren wir endlich oben.
Chaitén Caldera
Und dann stehst Du da. Auf einem Vulkan. Vor Dir tut sich der Krater auf. Kalt und steinig und glatt. Und hieraus ist das ganze Unglück entsprudelt? Und wir stehen hier genau an der Kante? Wenn man die Gedanken zulässt: Nicht ungefährlich. Auf der anderen Seite des Kraterrandes erheben sich zwei Schornsteine aus denen fast überall der weiße Qualm dampft. Er ist aktiv, der Chaitén und wir stehen quasi mitten drin. Mittendran. Was würden wir tun, wenn es nicht nur dampft, wenn der Berg anfängt zu grollen? Es gäbe wohl nichts mehr zu tun. Einfach stehenbleiben und zuschauen, da sind wir uns einig.
Mich trifft die Erschöpfung des Aufstiegs und der Mittagssonne, ich suche mir den einzigen Schattenplatz hinter einem abgestorbenen Baum, während Michaela auf einer Bank nach links umfällt und ein paar Minuten die Augen zumacht. Vor uns liegt der Abstieg, der uns freut, weil es nicht mehr vulkanauf geht, weil unsere Vorgänger uns mit breitem Grinsen von oben entgegen kamen.
Ein breites Grinsen haben wir auch auf dem Gesicht. Bis oben war es verdammt anstrengend, aber wir waren oben auf einem Vulkan. Ja, wir waren wirklich oben auf einem (mehr oder minder) aktiven Vulkan. Das können wir von unserer Bucketlist streichen. Aber das Grinsen ist uns dann doch noch vergangen. Denn runter ist nicht immer einfacher, als hoch.
Auf dem Weg nach unten, in der ungesicherten Strecke, ohne Weg und ohne Stufen, echtes bergsteigen, da macht der Muskel irgendwann zu (wie Gerd Rubenbauer gesagt hätte), da zwickt es irgendwann und überall. Da geht das Wasser zur Neige und wenn der Abstieg dann schwer und anstrengend wird und weh und weh und weh tut, dann überredest Du Dich, keine Pause mehr einzulegen, weil irgendwann dieser verdammte Fluss kommt, wo es wieder Wasser gibt und er kommt nicht und kommt nicht und kommt nicht.
Was wir an der Infotafel am Anfang des Weges vermisst haben, ist die Info, dass der Weg heute wohl nicht mehr so ist, wie damals, als jemand die Infotafel aufgestellt hat. Dass der Weg nicht in „normalem Tempo“ drei Stunden dauert, sondern vielleicht im schnellen. Dass nicht so geübte Berg- und Vulkansteiger wie wir, vielleicht ein bisschen länger brauchen. Und dass man genug Wasser mitnehmen sollte. Unsere eineinhalb Liter haben nicht bis unten gereicht und ich war noch nie so froh, fließendes Wasser zu sehen, wie am Fuß des Vulkans Chaitén. Klassischer Fall von erheblich unterschätzt. Ich habe so schnell und gierig Wasser gesoffen, dass es mir aus der Nase wieder raus gekommen ist.
Die folgenden Tage waren geprägt von jeder Menge Muskelkater in den Oberschenkeln. Geschlafen haben wir in der ersten Nacht wie ein Baby: erschöpft und unglaublich durstig. Und breit gemacht hat sich der Gedanke, nie wieder einen Vulkan zu besteigen. Müssen wir nicht, erledigt, Haken dran. Aber wir haben es gemacht. Sechseinhalb Stunden hoch und runter, oben am Kraterrand mit bleibenden Eindrücken, ja, wir waren da oben – wie viele andere natürlich auch. Wir müssen nicht mehr hoch auf einen Vulkan, aber wir können. Weil das Erlebnis, die Eindrücke, die Bilder … das hat alles etwas ganz Besonderes. Unbeschreiblich. Und trotzdem habe ich das hier versucht. Vielleicht ist ein bisschen davon rüber gekommen?
Mehr Fotos gibt es im Fotoalbum zum Vulkan