39 Tage an Bord – hallo Panamericana

Neununddreißig Tage. Irgendwann habe ich angefangen, die Minuten zu zählen. Wie in einem Film. Spaziergänge auf dem Deck, immer im Kreis, alleine, weit und breit kein Schiff, kein Wal, kein Land und auch kein Mensch. Wie die tägliche Stunde im Hof bei Einzelhaft. Gerade wenn das Schiff drei Tage vor Rio vor Anker liegt. Oder drei Tage vor Montevideo. Du weißt, Du kommst Deinem Ziel keine Seemeile näher.

Die Anfangseuphorie verfliegt in dem Moment, in dem Du erfährst, dass Du nicht wie geplant ankommst, sondern Tage um Tage später. Das Essen wird nicht besser, seit der Koch in Santos krank von Bord musste (war ihm das Essen zu eintönig?) und der ungelernte Messboy den Rührbesen übernimmt. Highlight unserer Reise ohne Zwischenstopps: Eine Stunde dümpeln auf offenem Meer, weil die Maschine den Dienst verweigert. Die Tage plätschern irgendwann nur noch so vor sich hin. Du kannst nichts tun, keine Lust mehr zum Lesen, kein Starbucks, um die Zeit zu vertrödeln … manchmal hat man das Gefühl, die Zeit vertrödelt uns. Tick. Tack. Schon wieder zwei Minuten rum.

Die Stimmung schlägt wieder ins Fröhliche um, als wir einen vermutlich festen Zeitplan für die letzten Tage an Bord bekommen. Ein Silberstreif am Horizont, Bewegung im Rio de la Plata. Samstag Abend verlassen wir die Ankerposition irgendwo östlich von Montevideo und fahren auf die Pilot-Position, wo wir unsere Lotsen am Sonntag früh um nullsiebenhundert aufgabeln. Dann geht es westlich in Richtung Buenos Aires. Zarate erreichen wir am Montag um nullzwohundert, Landgang durchaus möglich. Ein neuer (echter) Koch kommt an Bord. 48 Stunden später geht es auf die letzte Etappe in Richtung Montevideo, wieder ein Stück zurück. Freitag geht es von Bord. Endlich?

Zumindest in Teilen. Die Frachtschiffreise war schon ein besonderes Erlebnis! Zwischendrin dachten wir, es sei wirklich ein „once in a lifetime“-Ding. Nie wieder. Dabei war es doch auch irgendwie beeindruckend. Viele Dinge, die man „so alt“ zum ersten Mal erlebt. Kommt ja auch nicht alle Tage vor.

Kein Gefühl für Zeit. Immer wieder die Frage, welcher Tag heute ist. Ein ganzer Monat scheint verschwunden. Was ist meanwhile in der Welt passiert? Wichtiges oder doch nur der übliche, vollkommen belanglose Alltagstrott da draußen? Die Zeit, die manchmal nur so vor sich hinplätschert, verfliegt wie im Flug. Termine und Geburtstage gehen vorbei, ohne dass man gratulieren kann oder irgendetwas erfährt. Die Welt scheint manchmal ein ganz anderer Ort zu sein. Und das alles, während man die unzähligen unterschiedlichen Blautöne des Meeres zu dechiffrieren versucht.

Am Meer kann man sich nun gar nicht satt sehen. Dazu ein paar Wale, Delfine, unerwartete Landgänge in Afrika und Brasilien, viel zu Lachen, kein Telefonklingeln, ganz andere Perspektiven – vom Wasser aus und aus dreißig Metern Höhe. Entschleunigung pur und das Gefühl, endlich angekommen zu sein: Am Ende einer Reise und am Beginn eines großen Abenteuers.

Wer weiß, ob wir nochmal auf ein Frachtschiff gehen. Vielleicht nicht noch zehn weitere Male wie Teresa und Pierre. Vielleicht nicht auf der gleichen Strecken. Vielleicht auch ein oder zwei Wochen kürzer. Aber warum eigentlich nicht?

Auch auf anderen Meeren gibt es schöne Routen.

Hurtig, Mensch,
entscheide weise,
ob Dich ein Frachter führt
auf eine gänzlich and’re Reise!

Angekommen in Uruguay. Unsere Reise auf der Panamericana kann jetzt endlich starten. Wir freuen uns auf die Straße. Wir freuen uns, dass es jetzt so richtig richtig losgeht