Traumstraße? Was heißt schon Traumstraße? Straße die zum Träumen einlädt oder Straße die traumhaft schön ist? Die Carretera Austral ist eine dieser sogenannten Traumstraßen. Im Allgemeinen zählen die, die sie gefahren sind, sie dazu. Wir waren gespannt.
Die offizielle Bezeichnung der Carretera Austral ist Ruta 7. Die Fernstraße verbindet Chiles weniger südlichen Süden mit Chiles südlichem Süden. Von Puerto Montt führt die Ruta 7 bis nach Villa O’Higgings, deutlich über 1.000 Kilometer. Wir sind fast die ganze Ruta 7 von unten nach oben gefahren. Mit einer kleinen Ausnahme. Unsere Fahrt auf der Carretera beginnt nicht in Villa O’Higgins, sondern knapp 200 Kilometer weiter nördlich in Cochrane. Von El Chaltén in Argentinien kommend können Autos die Anden erst am Paso Roballos queren. Von dort aus müsste man ebendiese 200 Kilometer wieder in den Süden kehren, um Villa O’Higgins zu erreichen.

Carretera Austral – volle Wucht, volle Pracht
Als wir den Pass überqueren und auf die Carretera treffen, trifft uns die Schönheit der chilenische Landschaft mit voller Wucht. Unsere Wochen vorher waren größtenteils geprägt von karger Wüstenlandschaft, von Pampa ohne grün, von Rüttelpisten, Staub und kahler Einsamkeit. Vom Pass aus kommend fahren wir quer auf die Ruta 7 zu. Auf der anderen Straßenseite glänzt der Rio Baker im schillernden grün, windet sich durch das Tal, gesäumt von Bäumen und satten Wiesen.
Egal in welche Richtung man fährt, ob südwärts nach Cochrane oder gen Norden – es ist schwierig, die Augen auf der Straße zu lassen. Notwendig ist es schon, denn wenn nicht gerade Rippios, die Waschbrettpisten, die ganze Aufmerksamkeit erfordern, dann ist es vielleicht eine Kuh oder ein Pferd, die auf der falschen Seite des Zauns weiden. Das ist hier so normal, dass wir uns nur beim ersten Mal wundern. Die Augen möchten, können wunderbarste Landschaft sehen. Glücklich der, der einen redseligen Beifahrer hat, der erzählt, was der Fahrer verpasst.
Lupinen, Nalcas und Delfine
Unser erster Eindruck ist geprägt von bunten Lupinen. In jeder Straßenritze, unter den Bäumen, in jeder Flussbiegung. Manchmal sind es ganze Felder voller gelber, blauer, pinker oder lilaner Blumen, die den Reisenden begleiten. Wahnsinnige Farbenpracht, von der Menge her vergleichbar mit den unendlichen Rapsfeldern in der nördlichen Eifel. Was dort aber eintöniges gelb ist, eingepfercht in Feldwege und Bundesstraßen, dass ist hier abwechslungsreichstes Bunt soweit das Auge reicht.
Keineswegs sind die Reiseführer voll von Sehenswürdigkeiten. Mangels Geschichte gibt es keine Marktplätze oder mittelalterlichen Kirchen zu besichtigen. Es gibt keine Museen oder Galerien, die den Touristen erwarten. Es gibt stattdessen Kurven. Und hinter jeder Kurve, wirklich nahezu hinter jeder Kurve gibt es eine Überraschung, ein großes Staunen.
Die Ruta 7 schlängelt sich durch Schweizer Almen genauso wie durch die Wälder Kanadas. Man fährt durch kalten Urwald, in dem die Feuchtigkeit der Berghänge mit den Händen greifbar ist, über geschotterte Bergpässe, die 4×4 zur Bedingung machen, vorbei an Nalca-Blättern so groß wie Sonnenschirme und immer wieder entlang des pazifischen Ozeans, aus dem unvermittelt ein paar Delfine auftauchen.

Es gibt so viel zu verpassen
Die Carretera Austral ist so vielfältig und birgt so viele Geheimnisse, dass man Gefahr läuft, vieles zu verpassen. Ein Nationalpark reiht sich an den nächsten. Mal sind es wunderbare Wanderungen, mal hängende Gletscher und einsame Bergseen. Eines von unzähligen Highlights ist für uns der Parque Nacional Pumalin, gegründet vom inzwischen verstorbenen Esprit- und Northface-Boss Douglas Tompkins. Große Teile seines Vermögens hat er in seinen chilenischen Nationalpark investiert, um die Natur so zu erhalten, wie sie ist und nicht zu dem zu machen, wie Menschen sie gerne hätten.
Wir haben das große Glück, außerhalb der Saison zu Reisen. Es ist wenig los. Auf den meisten Camping-Plätzen sind wir allein, manche sind noch nicht mal geöffnet. Dementsprechend ruhig ist auch der Verkehr auf der Straße selbst. Die Carretera Austral ist in weiten Teilen nur eine Schotter- oder Staubpiste, mal in den Fels gesprengt, mal durch den Urwald geschlagen, an vielen Stellen nur einspurig befahrbar. Die Bauarbeiten zum Ausbau der Ruta 7 können in Ruhe voran gehen. Da wird dann die einzige Verbindungsstraße zwischen Nord und Süd auch problemlos wochentags zwischen 13 und 17 Uhr komplett geschlossen. Dann kann in Ruhe gebaggert werden.
Noch größeres Glück haben wir, dass die Carretera immer noch nicht durchgängig asphaltiert ist. Schotter und Rippios zwingen dazu, langsam zu fahren. Man kann nicht mit Tempo 90 an den wenigen Ortschaften vorbei brettern; vielmehr ist Geduld eine Tugend und die gebotene Langsamkeit der wahre Grund zur Freude. Viel häufiger als ursprünglich geplant halten wir an und übernachten an eisblauen Bergbächen oder im Angesicht des Vulkans. Nicht auszudenken, wie viel man verpasst, wenn man einfach fahren kann.

Und bald: überall Asphalt
Chile schickt sich an, die Carretera Austral durchgängig zweispurig auszubauen. Unzählige Baustellen säumen unseren Weg. Für die Bewohner Südchiles wird das ein Segen sein. Lebensmittel und Güter können viel günstiger und schneller in die entlegenen Dörfer transportiert werden, Touristen werden auch ohne 4×4-Fahrzeuge den Weg bis nach Cochrane oder Villa O’Higgins finden. Geld wird fließen, Wohlstand wird einkehren. Und trotzdem wird sich vieles zum Negativen ändern. Natur wird nicht mehr ganz so natürlich sein und wie touristen-überschwemmte Nationalparks aussehen, davon kann man sich an anderer Stelle vielfach ein Bild machen.
Heute gibt es nördlich von Chaitén nur eine Fährverbindung in Richtung Puerto Montt, keine durchgängige Straße. Zweimal am Tag fährt man eine halbe Stunde Fähre, 20 Minuten über eine einsame Insel und dann nochmal fast vier Stunden mit dem Schiff, bis man in Hornopirén wieder Festland erreicht. Eine wunderschöne Fahrt durch die chilenischen Pazifik-Fjorde, unberührte Natur, vollkommen entschleunigt. Die Pläne für eine Straße durch den Nationalpark liegen in der Schublade. Quer durch Natur und Urwald soll eine Schneise geschlagen werden, damit Mann und Maus – und Touristen wie wir – schneller voran kommen. Nicht auszudenken.
1000 Kilometer Traumstraße
Die mehr als 1000 Kilometer auf der Carretera Austral legen wir in knapp zwei Wochen zurück, bis wir in Puerto Montt wieder auf die erste Stadt mit einem richtigen Supermarkt und Infrastruktur treffen. Ein echter Schock für uns, der uns deutlich vor Augen führt, wie wahnsinnig traumhaft die Carretera Austral ist. Spaßeshalber diskutieren wir darüber, ob wir die Fahrt auf der Panamericana nicht einfach abbrechen sollen. Was kann nach Perito Moreno, Torres del Paine und der Carretera Austral noch kommen? Schöner, bewunderswerter und irrer kann es doch gar nicht mehr werden.
Die Ruta 7, die Carretera Austral ist eine echte Traumstraße. Traumhaft schöne Landschaft, traumhaft zu (er-)fahren. Für uns ein traumhafter Teil unserer Reise auf der Panamericana.
