Die Tage an Bord der Grande Angola vergehen unglaublich schnell. Obwohl ja irgendwie überhaupt nichts zu tun ist. Ein bisschen aufs Meer schauen, Frühstücken, ein Buch lesen, ein bisschen aufs Meer schauen, an Deck zwischen den Autos spazieren, aufs Meer schauen, ein bisschen im Buch lesen, ein vorbeiziehendes Schiff beobachten, Mittagessen, kickern, aufs Meer schauen, lesen, Wale suchen, Abendessen, aufs Meer schauen, der GADC-Sitzung (siehe unten) beiwohnen, Sterne beobachten, Gin trinken, ins Bett gehen.
So richtig viel ist nicht zu tun und die Tage gehen doch unendlich schnell vorbei. Kaum zu glauben, dass wir heute (26.09.) schon seit zwei Wochen an Bord sind. Schön, dass noch knapp drei Wochen vor uns liegen!
Essen an Bord
Morgens Frühstück mit frisch gebackenem Focaccia. Dazu Kaffee, der jeden Tag Sodbrennen verursacht. Und Pflaumenmarmelade mit 40% Fruchtanteil …
Zu jedem Essen ein Getränk frei. Wasser, Limo, Cola oder Wein. Ein Fläschchen italienischer Landwein, 0,25 Liter. Das „Bavaria“-Bier aus der brasilianischen Dose kostet 1 Euro extra. Dafür ist es eiskalt. Die Flasche Johnny Walker Red Label 25 Euro. Micks Flasche ist nach zwei Tagen fast leer.
Mittags und Abends vier oder fünf Gänge. Nach einer Woche weiß man in etwa, was es gibt. Suppe oder Pasta, Fleisch oder Pasta, Fisch oder Fleisch, Donnerstags und Sonntags ein Eis oder Kuchen, danach Obst. Und einen Espresso oder Ristretto der eine Schande für seine italienische Herkunft ist. Aber man nimmt, was man bekommt.
Der Koch hat mittendrin gewechselt. Nicola, unser Bäcker (backen konnte er!) ist inzwischen daheim bei seiner Familie in Neapel und backt wohl kleinere Brötchen. Rocco, sein Nachfolger hat deutlich mehr Ambitionen, so rein küchentechnisch, aber auch er kann nur kochen, was seit Antwerpen an Bord gekommen ist. Nix mit einem feinen griechischen Bauernsalat oder Tomaten mit Zwiebeln, höchstens Eisbergsalat mit Essig und Öl. Keine Frittata mit frischem Gemüse, eher Omelette mit Käsefüllung. Okay, es ist nicht so schlecht, wie es sich gerade liest, ganz im Gegenteil. Eigentlich ist es ganz gut, aber nach zwei Wochen wiederholt sich halt doch alles irgendwie. Rocco gibt sich größte Mühe uns kulinarisch zu unterhalten.
Officers und Crew an Bord
Noch nie in meinem Leben habe ich Unterschiede der Herkunft wegen so deutlich gesehen. Die arbeitende Crew besteht ausschließlich aus Philippinos, die Offiziere sind allesamt Italiener. Einzige Ausnahmen: der Security Officer Michael und der Messman „Sonny Boy“. Aber der Zusatz sagt ja irgendwie auch schon alles. Alle sind sehr freundlich, hilfsbereit, wenn man sie anspricht, geradezu höflich. Aber der Unterschied zwischen Officers und Crew ist so breit wie ein Hafenbecken in Antwerpen. Die Crew lässt sich nie sehen, wenn überhaupt huschen sie auf dem Gang an Dir vorbei, wenn sie sich mal in den falschen Flügel verirrt haben. Sie werden sogar anders bekocht (die Passagiere und Officer bekamen bei Nicola mal das Fleisch, die Crew die Brühe …).
Der Kapitän Raffaele Minotauro erklärt mit sichtbarer Freude seine Brücke und mit einigem Überschwang auch gerne mal die Sternbilder – ohne dass ihn irgendjemand ob seiner überschaubaren Englischkenntnisse wirklich verstehen würde.
Man darf nicht vergessen, dass wir auf diesem Frachtschiff nur Mitreisende sind. Eigentlich sind wir nur Fracht. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass wir nur rudimentär mit Informationen versorgt werden. Alle müssen schliesslich arbeiten, Weit und breit kein Sascha Hehn, der den Damen an Bord schöne Augen macht, weil das seine einzige Beschäftigung an Bord des Traumsschiffs war. Bis er dann irgendwann Kapitän wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.
Dass die Uhrzeit umgestellt wird, erfahren wir manchmal nur nebenbei, wenn sich die Essenszeiten verschieben, bekommen wir das nur mit, weil sich niemand in der Offiziersmesse sehen lässt. Und wann und ob wir in Dakar an Land gehen können, erfahren wir auch nur rein zufällig, nachdem wir schon rund zwei Stunden im Hafen liegen.
Klo und so.
„schlurp“, wie im Flugzeug, macht es in aller Regelmäßigkeit nicht. Immer wieder stehen wir da und wissen nicht, wann und ob wir pinkeln können. Wenn ein zweiter Klobesuch nicht möglich ist, erfahren wir das durch die fehlende Spülung beim ersten Mal. Ein paar Stunden später funktioniert wieder alles. Bis zum nächsten Blackout. Und der kommt eben in aller Regelmäßigkeit. Ob das der Grund ist, warum unsere französische Mitreisende (Marie-Christine, 61) zwischen die Autos auf dem obersten Deck gepinkelt hat? Ja vielleicht, dann scheint aber auch deren Dusche nicht richtig zu funktionieren. Zumindest macht ihr Mann (Philippe, 63) uns olfaktorisch wenig Freude.
Menschen an Bord.
Über 30 Tage auf einem Frachtschiff und dann nur komische Leute. Das war unsere größte, eigentlich die einzige Befürchtung. Mit wenigen (französischen) Ausnahmen, ich erinnere mich dunkel an Ilse-Hasis Erzählungen aus Namur, haben wir nur gute, ach was, nur beste Erfahrungen gemacht. Ursi und Robert, die beiden Schweizer, die die nächsten fünf Jahre in Südamerika verbringen wollen, sind in wenigen Tagen von Fremden zu Freunden geworden – und das nicht nur wegen des GADC (siehe unten). Nach den ganzen Abschieden vor knapp drei Wochen kommt bald nochmal einer auf uns zu, der mir sicherlich auch nicht leicht fallen wird. Das sagt ja fast schon alles … Mike (50), das „Squirrel on speed“, ist der Klassenclown unserer Reisetruppe. Immer ein bisschen zu überschwänglich, der Humor very british, ein feiner und netter Kerl; beim Kickern aber hoffnungslos unterlegen. Mick (68), zum vierten Mal mit dem Motorrad auf dem Weg nach Patagonien, verliebt in Land und Leute, Veganer, Whiskey-Töter, still, aber immer mit einem freundlichen Wort unterwegs.
Nun ja, und unsere vier Franzosen halt. 34 Tage Sozialstudie. Mehr sog i ned!
Zoll an Bord.
Sowas kennt man ja als Schengen verwöhnter Möchtegern-Overlander überhaupt nicht mehr. Dass der britische Zoll bei uns in der Kabine stand – das war ja schon ein Erlebnis.
Wetter an Bord.
Rauer Wind, ein wenige Seegang, pralle Sonne. Aber alles in gemäßigten Temperaturen. Die ersten zwei Wochen konnten wir fast ausschließlich an Deck verbringen, mit SoSchuFa 50 und lustigen Hüten. Erst ab Mauretanien schlug das Wetter um (sich). Brutale Feuchtigkeit, gepaart mit heftigen Temperaturen. Gefühlte 50 Grad im Schatten der Brücke, bei 104% Luftfeuchtigkeit. Ein (schöner) Vorgeschmack auf die Karibik …
Tischtennis an Bord.
Extra Schläger gekauft, extra Bälle besorgt. Nicht nur wir, Mike vorsorglich auch. Und dann das: Keine Tischtennisplatte. Ehrlich, ich habe mich vorher sehr darauf gefreut, muss ja auch mal gesagt werden, wenn man sich ehrlich auf eine Tischtennisplatte freut, aber da ist keine, da war nur mal eine; davon übrig sind noch ein paar Schläger und hinreichend viele Bälle. Die liegen im Fitnessraum neben den Fahrrädern und Laufbändern, die alle irgendwie nicht funktionieren. Und wenn sie funktionieren, dann mehr schlecht als recht. Und in einem Fitnessraum ohne Fenster, da macht das Radeln auch nur rudimentär Spaß, wenn vorher Marie-Christine und Philippe auf dem Laufband waren.
Wenigstens gibt es einen Kickertisch, seit Antwerpen. Modell chinesisches Hinterland. Der ganze Tisch so leicht wie ein Bein des Kickertischs im alten Büro, obwohl neu, so baufällig und schief, als stünde er in Pisa. Und bald – ich befürchte es – will eh niemand mehr mit mir spielen. Ein Kickerspiel dauert 12 Minuten und am Ende gewinnt immer der Deutsche…
GDAC.
Der „Grande Angola Drinking Club“, gegründet am 15. September 2016, oder am 19. September, gegen 20.00 Uhr MESZ im Hafen von Antwerpen, oder in Tilbury, oder irgendwo dazwischen. So genau wissen wir das nicht mehr, weil Roberts Outlook den Geist aufgegeben hat. Also haben wir den Geist aus der Flasche beschworen.
Natürlich ist es streng verboten, über den GADC zu sprechen. Und was im GADC besprochen wird, bleibt natürlich auch im GADC. Der GADC ist ein exklusiver Club, vier Mitglieder, eine Leidenschaft. Den letzten Schluck Duke (Danke, Karin, was für eine tolle Erfahrung!) haben wir vor der Mauretanischen Küste geleert. Die Flasche wird als Flaschenpost irgendwo im Atlantik über Bord gehen. Natürlich darf ich das hier gar nicht erzählen. Deswegen zerstört sich dieser Blogbeitrag in fünf Sekunden von selbst. Peng!